Gericht
„So Bock auf ein Massaker“
Die „Gruppe S.“ soll den bewaffneten Kampf gegen Muslime und Politiker geplant haben. Der Prozess in Stammheim ist ein Kraftakt für die Justiz.
Es ist der Auftakt zu einem Mammut-Prozess – unter Corona-Bedingungen. Das Prozessgebäude des Oberlandesgerichts Stuttgart am Stammheimer Gefängnis ist hochgesichert, rundum ist Polizei postiert. Gegenüber demonstriert die Antifa, „Rassisten entwaffnen“, hieß es auf einem Transparent.
An den Eingängen warten am Dienstagmorgen mehr Journalisten als Zuhörer auf die Einlasskontrollen. Zutritt ist nur mit Maske gestattet, in der Verhandlung muss sie draufbleiben, außer bei Wortmeldungen. Die Verhandlung unter Pandemiebedingungen bedeute Beschränkungen und Einschränkungen für alle Beteiligten – „in einschneidender Weise“, sagt der Vorsitzende Richter des 5. Strafsenats, Herbert Anderer, zum Auftakt.
Zum Schutz vor Corona sind zwischen den Anwälten Glasscheiben aufgebaut, die gut drei Dutzend Zuhörerstühle sind in weitem Abstand aufgestellt. Nacheinander werden die Angeklagten in den Saal geführt, die Hände gefesselt. Vors Gesicht halten viele einen Aktendeckel, solange Fotografieren und Filmen erlaubt sind. In zwei Reihen sitzen sie hinter der Phalanx der 27 Anwälte.
Kronzeuge geschützt vom LKA
Insgesamt zwölf Männer stehen in Stammheim im Prozess gegen die „Gruppe S.“ vor Gericht – doch einer der Angeklagten sitzt nicht bei den restlichen elf, sondern mehrere Meter weg, bei den Verteidigern. Er ist nicht in Untersuchungshaft: Paul U. nennt keine Wohnadresse, als er vom Richter gefragt wird. Die Anschrift sei über das LKA zu erfahren, das Landeskriminalamt, sagt er. U. dürfte im Zeugenschutzprogramm sein und als Kronzeuge aussagen.
Er soll sich als Informant an die Polizei gewandt haben. So konnten die Ermittler die Gruppe überwachen. Laut Anklage waren die Männer in der rechtsextremen Szene gut vernetzt, einige sollen zu rechtsextremen Bürgerwehren gehört haben oder den Reichsbürgern nahestehen. Sie äußerten ausländerfeindliche und nationalsozialistische Ansichten.
Zu den Gründungsmitgliedern zählt für die Anklage Michael B. aus Kirchheim/Teck. Mitte 2019 soll unter den Männern die Überzeugung gereift sein, dass etwas passieren müsse „gegen die Überfremdung“. In einer gemeinsamen Telegram-Chatgruppe „Gruppenaufbau“ sollen sich Angeklagte geschrieben haben, „zu allem bereit zu sein“. Einer versicherte, „bei Kriegsbeginn in der ersten Reihe zu stehen“. Man bezeugte Treue bis in den Tod und wollte „im Kampf sterben“. Außerdem hetzte man über Ausländer als „Kakerlaken, die man jagen“ müsse, zitiert die Anklage aus den Chatprotokollen der Gruppe.
In einer neu gegründeten Chatgruppe namens „Heimat“ tauschte man sich laut Anklage ab August 2019 aus. „So Bock auf ein Massaker“, hieß es da. Nach einem Treffen in Thüringen folgte am 28. September das von den Ermittlern als Gründungszusammenkunft bewertete Treffen an der Hummelgautsche bei Alfdorf (Rems-Murr-Kreis), an dem neben den Angeklagten weitere Personen mit rechtsextremem Hintergrund teilgenommen haben, sagt die Anklage.
Auf dem Grillplatz habe es zwar keine konkreten Anschlagsplanungen gegeben, es sei aber schon um Waffen gegangen. In den Chats und Telefonaten seien Codewörter benutzt worden, beispielsweise „E-Bike“ oder „Hardware“ für Waffen.
Ein weiteres Treffen Mitte Dezember scheiterte, weil die mutmaßlichen Anführer S. und E. nicht anreisen konnten. Ein Mega-Stau auf der A 7 mit 54 Kilometer Länge bremste sie aus. Das Treffen wurde am 8. Februar in Minden in Nordrhein-Westfalen nachgeholt.
Laut Anklage wurde dort die Anschlagsplanung konkret: Moscheen sollten mit Schusswaffen angegriffen und Muslime getötet werden, Politiker eingeschüchtert und ein Bürgerkrieg ausgelöst werden.
Angst vor dem „Verräter“
Für die notwendigen Waffen wurde ein Budget von 50 000 Euro veranschlagt, Pistolen, Langwaffen und Handgranaten sollten beschafft werden, heißt es in der Anklage.
Beim nächsten Treffen am 21.?März sollten Ziele festgelegt werden, sagt die Staatsanwaltschaft. Zeitnah sollte zugeschlagen werden. Allerdings kam der Verdacht auf, dass die Gruppe überwacht werde, dass U. ein „Verräter“ sei. Die Chatgruppen-Kommunikation sei daraufhin gelöscht, die Anschlagspläne aber nicht aufgegeben worden.
Wieder wurde demnach eine neue Chatgruppe gegründet, „Tutto Ramazotti“. Am 14. Februar 2020 schlug aber die Polizei zu. In Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gab es 13 Festnahmen, einer der Verdächtigen starb in U-Haft. Pistolen, eine Armbrust und Messer wurden gefunden.
Für den Prozess sind vorerst bis Anfang Juli 2022 mehr als 100 Verhandlungstermine angesetzt.