Tübingen/Mannheim

Verpackungssteuer gekippt: Gerichtshof legt Urteilsbegründung vor

Ende März hatte der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof die Tübinger Satzung zur Verpackungssteuer für unwirksam erklärt. Am Mittwochmorgen wurde die Begründung veröffentlicht.

13.04.2022

Von Ulrich Janßen

Symbolbild: Jonas Bleeser

Symbolbild: Jonas Bleeser

Verpackungssteuern verstoßen gegen das Abfallrecht, und sie lassen sich in ihrer Wirkung nicht auf das Gemeindegebiet begrenzen: Das sind die wesentlichen Argumente, mit denen die Richter des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs die Tübinger Steuer auf Einwegverpackungen aufhoben (wir berichteten). Gestern veröffentlichte das Mannheimer Gericht die Begründung für sein Urteil. Gegen die bundesweit diskutierte Verpackungsverordnung der Stadt hatte die Tübinger McDonald’s-Filiale geklagt.

„Widerspruch zum aktuellen Abfallrecht des Bundes“

Laut der Pressemitteilung des Gerichtshofs steht die Tübinger Verpackungssteuer als sogenannte „Lenkungssteuer“ im „Widerspruch zum aktuellen Abfallrecht des Bundes“. Bei diesem handele es sich um ein „geschlossenes System“, das „Zusatzregelungen durch den kommunalen Gesetzgeber ausschließe“. Die Tübinger Praxis würde nach Ansicht des Gerichts „das Tor zur Einführung aller möglichen Verbrauchssteuern durch die Gemeinden eröffnen“ und damit dem Grundgesetz widersprechen. Es sei Sache des Bundes und nicht der Gemeinden, auf die weitere Zunahme des Verpackungsmülls zu reagieren: „Etwaige Versäumnisse des Bundesgesetzgebers berechtigen die Kommunen nicht dazu, dessen Entscheidungen in eigener Zuständigkeit zu ,verbessern‘“.

Genau diese Versäumnisse waren der Grund, warum OB und Gemeinderat zu Jahresbeginn eine Verpackungssteuer einführten. Laut Palmer ist es dem Bund mit den bisherigen Regelungen nicht gelungen, die rapide wachsende Menge an Verpackungsmüll vor Ort zu reduzieren: „Alle bisherigen Maßnahmen gegen den To-go-Müll waren wirkungslos.“ Sie hätten jedes Jahr nur zu mehr Müll und Ressourcenverschwendung geführt: „Die Kommunen müssen deshalb eine Problemlösungskompetenz haben.“ Nach Ansicht des OBs und der Ratsmehrheit hat die Stadt durchaus auch das Recht, Wegwerfmüll zu besteuern, da ihr das Grundgesetz prinzipiell die Kompetenz zur Steuergesetzgebung zugestehe.

Diese Kompetenz erstreckt sich allerdings, wie der Verwaltungsgerichtshof festhielt, nur auf das Gemeindegebiet: Bei „Produkten zum Mitnehmen“ sei „ein Verbleiben im Gemeindegebiet nicht gewährleistet“. Es könne nicht sichergestellt werden, „dass der belastete Konsum und damit der Verbrauch der Verpackung vor Ort im Gemeindegebiet stattfänden“. Palmer hält dagegen, dass es der „Lebenswirklichkeit“ nicht entspreche, „sich in der Tübinger Fußgängerzone einen Cappuccino to go zu kaufen und damit bis nach Reutlingen zu fahren“.

Gegenüber dem TAGBLATT verwies der OB gestern auf ein von der Stadt in Auftrag gegebenes Gutachten der Kanzlei Quaas und Partner (siehe unten) und auf einen Aufsatz, wonach eine örtliche Verpackungssteuer mit dem Abfallrecht sehr wohl in Einklang stehe.

Verpackungssteuer der Stadt Kassel

1998 hatte das Bundesverfassungsrecht die Verpackungssteuer der Stadt Kassel vor allem mit dem Argument gekippt, sie verstoße gegen das „Kooperationsgebot“. Dieses verpflichtet die Abfallzuständigen in Bund, Ländern und Kommunen zur Zusammenarbeit. Kommunen dürften nicht mit einem „Zwangsgeld“ die auf Kooperation bedachten Regelungen des Bundes im Abfallrecht unterlaufen. Die Verpackungsverordnung setze auf Rücknahmeverpflichtungen und das Zusammenwirken aller Beteiligten. „Insellösungen“ würden dadurch ausgeschlossen.

Das aber habe sich spätestens 2012 mit dem neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz geändert, argumentierten schon 2017 die Rechtsanwälte Fiete Kalscheuer und Nicolas Harding in einem Aufsatz in der juristischen Fachzeitschrift „NordÖR“. Auf ihn berufen sich sowohl die städtischen Gutachter als auch Palmer. Danach tauche das Kooperationsgebot im aktuellen Abfallrecht „nur noch am Rande auf“. Es gelte jetzt „der Vorrang der Abfallvermeidung“.

Palmer will deshalb dem Gemeinderat empfehlen, die Frage der Verpackungssteuer „bundesgerichtlich zu klären“ und die Möglichkeit der Revision zu nutzen: „Es gibt hier zwei verschiedene Rechtsauffassungen.“ Klar ist dem OB aber auch, dass es einfacher ist, die Frage politisch in Berlin zu klären, als sich „vor Gericht durchzuprozessieren“.

Das grün geführte Bundesumweltministerium könne „mit nur einem Satz“ den Gemeinden das Recht zugestehen, entsprechend ihren unterschiedlichen lokalen Bedürfnissen Einwegverpackungen zu besteuern. Dies entspreche auch der Intention des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, das die Abfallvermeidung stark betone. Er werde deshalb „parteiinterne Kanäle“ nutzen, um sein Anliegen bei Umweltministerin Steffi Lemke zu platzieren.

Stellungnahme der Stadtverwaltung

Grundsätzlich hat laut dem Grundgesetz (Artikel 105) der Bund die Gesetzgebungskompetenz auch über Verbrauchssteuern. Das gilt allerdings nicht für „örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern“. Hier dürfen die Kommunen, sofern sie nicht in „gleichartige“ Vorschriften des Bundes eingreifen, durchaus von ihrem „Steuerfindungsrecht“ Gebrauch machen, heißt es in dem 92-seitigen Gutachten der Stuttgarter Kanzlei Quaas und Partner.

Die Frage ist nur: Was heißt „örtlich“? Laut dem Gutachten muss der Konsum „vor Ort“ stattfinden. Ein Kriterium, das sie bei der Verpackungssteuer erfüllt sehen. Der Verkauf von Speisen und die unmittelbaren Steuerwirkungen seien auf das Gemeindegebiet beschränkt.

Die Gutachter befürchteten auch nicht, dass die Tübinger Steuer gegen das Gleichartigkeitsverbot verstößt und somit eine Steuerquelle doppelt belasten könnte. Infrage kommt hier vor allem die Umsatzsteuer. Sie ziele aber „auf die Kaufkraft des Verbrauchers“ ab, während die Verpackungssteuer die „Umweltbelastung“ reduzieren möchte. Das sind zwei ganz unterschiedliche Ziele.

Nach Auffassung der Gutachter verstößt die Steuer auch nicht gegen das Abfallrecht des Bundes. Das „abfallrechtliche Leitprinzip“ des Kreislaufwirtschaftsgesetzes sei mittlerweile die „Abfallhierarchie“, in der die „Vermeidung“ ganz oben stehe.

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Erstellt:
13.04.2022, 09:57 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 27sec
zuletzt aktualisiert: 13.04.2022, 09:57 Uhr

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