Eutingen · Geburtstag

Vor 50 Jahren vom Schwarzen Meer ins Gäu

Kazÿm Celik aus Eutingen wird heute 80 Jahre alt. Er blickt auf fünf Jahrzehnte gelebte Integration in Deutschland zurück.

14.06.2019

Von Alexandra Feinler

Kazÿm Celik. Bild: Alexandra Feinler

Kazÿm Celik. Bild: Alexandra Feinler

Als zweitjüngstes von sieben Kindern von Serfinaz und Ali Celik wurde Kazÿm Celik am 14. Juni 1939 geboren. Das Dorf hieß damals Kursan und wurde zu Findikli Köy umbenannt. Es liegt in der Ost-Türkei, unweit der Schwarzmeerküste. In Kursan besuchte er die Grundschule und lernte dann Maurer. „Damals hat jeder das gelernt, worin er gut war“, erinnert sich Kazÿm Celik. Sein Vater war Maurer, daher hatte er ebenfalls den Beruf ergriffen. Eine Zeitlang arbeitete er in Istanbul.

Als Deutschland Maurer brauchte, verschlug es den gebürtigen Türken 1969 nach Stuttgart/Bad Cannstatt. „Ich dachte damals: Das machst du ein paar Jahre und dann gehst du wieder zurück.“ Seine Frau Ÿehriban hatte er 1964 geheiratet. Sie blieb zusammen mit den Töchtern Mülkinaz (1966) und Nezengül (1969) im Dorf. In Istanbul wurde Tochter Yazgül 1977 geboren. Neun Jahre lang arbeitete Kazÿm Celik beim Unternehmen Kranko in Stuttgart, wo der Maurermeister einige Projekte mitgestaltete. An Großbauten wie 14 Meter hohe Straßenrandmauern kann er sich noch gut erinnern, wobei man früher alles von Hand machte. Seine Anfangszeit in Deutschland war nicht leicht, denn der dreifache Vater musste seine Familie in der Türkei versorgen.

Dazu kamen die Sprachbarrieren, die zu einigen Hindernissen führten: „Abends hatten wir nach der Arbeit Hunger. Wir wollten von Bad Cannstatt nach Stuttgart zum Hauptbahnhof, um dort einzukaufen. Wir sind in den falschen Zug gestiegen und haben uns dann wieder verfahren. Wir haben bis 23 Uhr gebraucht, bis wir ankamen und dann gab es nichts mehr.“ Oft sei er mit dem Wörterbuch zum Einkaufen gegangen und habe Menschen gefragt. Viel Zeit zum Lernen blieb nicht, denn tagsüber stand die harte Arbeit an und am Wochenende blieben nur die Abende.

Im Sommer hatte er viel gearbeitet, damit er im Winter zwei bis drei Monate „Schlechtwetter-Urlaub“ bei der Familie in der Türkei machen konnte. Der Abschied fiel ihm jedes Mal schwer, denn er konnte nicht einfach die Familie anrufen, sondern schrieb Briefe. 1978 wechselte er zu einem Bauunternehmen nach Simmozheim und holte seine Frau und die drei Kinder nach Deutschland. In Weitingen lebten sie in einer Zwei-Zimmerwohnung. Das Unternehmen in Simmozheim löste sich nach drei Jahren auf, weshalb Kazÿm Celik zu einem Bauunternehmen in Rottenburg ging. 1980 kam Tochter Sirma Celik zur Welt. Der Platz in der Zwei-Zimmerwohnung in Weitingen wurde immer knapper. „Wir haben uns damals mit dem Nachbarn eine Toilette geteilt“, erklärt Kazÿm Celik. Daher suchte er ein Haus für seine Familie und fand durch Zufall eines an der Hauptstraße in Eutingen, das er sanierte. „Ich habe in Bad Cannstatt damals in der Hauptstraße gewohnt und heute wohne ich noch an einer Hauptstraße“.

1981 wurden Meral, 1984 Alev und 1987 Sohn Ali Celik geboren. Er wechselte zum Bauunternehmen Behr nach Mötzingen, wo er bei vielen Hausbauten in Weitingen mitwirkte. So bekam er Anschluss und fand Freunde in der Gäu-Gemeinde. Seine Kinder wuchsen typisch schwäbisch auf. „Wir besuchten den katholischen Kindergarten, wir waren bei den Sternsingern dabei, wir aßen Schweinefleisch. Unsere Eltern haben uns nie was verboten, das andere Kinder unseren Alters auch machen durften“, erklärt Meral Celik. Ihre älteren Schwestern hatten es jedoch anfangs nicht einfach gehabt, denn damals wurden sie immer wieder von Klassenkameraden gehänselt.

Heute würden noch drei Kinder in Eutingen, der Rest in Bildechingen leben. Alev spielte Tennis, Ali Fußball, Meral ist seit 20 Jahren im DRK, Sirma bringt sich in der SPD ein. „Unser Papa hat uns immer unterstützt. Er war immer vor Ort und die ganze Familie half mit“, danken die Kinder ihrem Papa. Nachdem er bei einem Bauunternehmen in Horb-Dettingen in Rente gegangen war, arbeitete er aushilfsweise in Nagold auf dem Eisberg bei einem Gartenunternehmen.

Einen grünen Daumen beweist er in seinem Garten im Wengert in Eutingen. 2013 baute er in seiner ehemaligen Heimat ein Haus. Dort lebt er, wenn er seine Verwandtschaft in der Türkei besucht. Kazÿm Celik ist jedoch im Herzen Eutinger und will seinen Lebensabend in Deutschland verbringen. Wenn ihn die Sehnsucht nach der Stadt seiner Jugend packt, dann fliegt er in die Türkei. Dort feiert der zehnfache Opa auch seinen 80. Geburtstag.

Zum Artikel

Erstellt:
14.06.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 12sec
zuletzt aktualisiert: 14.06.2019, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!