Interview

„Wahnsinn, was die Spieler leisten müssen“

Bundestrainer Jörg Roßkopf über den Stellenwert des deutschen Tischtennis, die belastende Terminhatz und das Pokalfinale in Neu-Ulm.

11.12.2019

Von CARSTEN MUTH

Jörg Roßkopf Foto: Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Jörg Roßkopf Foto: Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Neu-Ulm. Als ihn der Interview-Anruf erreicht, sitzt Jörg Roßkopf auf seinem Ergometer und strampelt sich die Beine frei. „Ich muss mich ein bisschen bewegen“, sagt der Tischtennis-Bundestrainer. Der 50-Jährige hat einen langen Flug hinter sich. Einen Tag zuvor ist er aus China zurückgekommen. Dort fand der Weltcup statt. Die deutschen Asse Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov schieden jeweils im Viertelfinale gegen starke Chinesen aus.

Herr Roßkopf, Ihre Jungs sind beim Weltcup im Viertelfinale ausgeschieden. Wie groß war die Enttäuschung?

Jörg Roßkopf: Sie hielt sich in Grenzen. Wir wissen, wie gut wir sind – und in welcher Verfassung. Insofern wissen wir das schon gut einzuschätzen. Allerdings hatte Dimitrij Ovtcharov durchaus die Möglichkeit, seinen Gegner, den Chinesen Ma Long, zu schlagen. Es hat ihn schon ein bisschen geärgert, dass er verloren hat.

Sie haben sich schon des Öfteren über die Terminhatz beklagt, unter der die Profis heute leiden.

Ja, denn es gibt kaum die Gelegenheit zu trainieren. Derzeit stehen einfach sehr viele Wettkämpfe an.

Besteht Hoffnung, dass die Verbände daran etwas ändern?

Ich glaube nicht. Es wird sich schwer etwas ändern lassen.

Warum?

Jeder will etwas von den Spielern. Wir haben in Deutschland die Bundesliga, es gibt die Champions League, viele internationale Turniere. Der internationale Kalender ist einfach sehr voll.

Kann man gar nicht gegensteuern?

Doch, man kann es zumindest versuchen. Wir haben in der Bundesliga zwölf Mannschaften. Vielleicht kann man auf eine Zehner-Liga zurückgehen. Auch in der Champions League kann man meiner Ansicht nach reduzieren. Die Spieler haben sich in der Regel auf die Belastung eingestellt. Aber was sie leisten müssen, ist schon der Wahnsinn.

Die Champions League reduzieren?

Ja, weil einige Teams, die dort mitspielen, gar keine Meister sind, das Label Champion also gar nicht verdienen.

Das dürfte nicht allen gefallen.

Wir alle wollen ja tolle Spiele sehen. Die bekommen wir allerdings nur, wenn die Spieler top-vorbereitet sind und an Lehrgängen teilnehmen können. Vor allem die jungen Spieler müssen die Chance bekommen, viel zu trainieren, vor allem viel an ihrer Technik zu feilen.

Im Fußball ist die Champions League das Nonplusultra, vor allem finanziell. Im Tischtennis nicht?

In unserer Sportart ist es für die meisten Vereine eigentlich ein Minusgeschäft. Insofern muss sich dort etwas ändern, finde ich.

Was passiert, wenn der von Ihnen geforderte Weg nicht eingeschlagen wird?

Dann wird es irgendwann so sein, dass die Europäer überhaupt keine Chance mehr haben. Dann bestimmen die Asiaten ganz alleine die Szene.

Sie waren selbst Profi und ein Star der Szene. Sind sie froh, in einer anderen Zeit gespielt zu haben?

Viele Wettkämpfe bestreiten, wenig trainieren – damit hätte ich mit Sicherheit Probleme gehabt. Früher aber hatte man mehr Zeit für das Training. Ich habe mich stets übers Training in Form gebracht und konnte mir damals noch ein paar Turniere aussuchen, die ich bestreiten wollte. Heute bin ich froh, wenn meine Jungs mal ein paar Tage an einem Ort sind und dort am Stück trainieren können.

Wo steht das deutsche Tischtennis in der Welt?

China ist klar die Nummer eins. Dann kommen wir, Südkorea, Japan, Taiwan. Wir sind seit vielen Jahren in der Weltspitze drin, haben tolle Spieler und müssen versuchen, neue Spieler nachzuschieben.

Das nächste große Ziel sind die Olympischen Spiele in Tokio im kommenden Jahr. Was ist drin?

Wir wollen um die Medaillen spielen. Aber das ist schwierig.

Ihr Aushängeschild Timo Boll ist bereits 38.

Warum sollte es bei ihm nicht mit einer Einzelmedaille klappen? Er ist fokussiert, er hat Spaß und spielt gut derzeit. Entscheidend ist, dass er verletzungsfrei bleibt.

Wer kann denn in Bolls Fußstapfen treten?

Naja, die Fußstapfen von Timo sind sehr groß.

Was ist etwa mit dem 27-jährigen Patrick Franziska aus Saarbrücken, immerhin WM-Viertelfinalist?

Ihm zum Beispiel traue ich es schon zu, in Bolls Fußstapfen zu treten. Aber natürlich müssen wir uns anstrengen, wie viele andere Sportarten in Deutschland auch, damit wir nicht abgehängt werden von der Konkurrenz.

Apropos Konkurrenz. In der Bundesliga mischt seit vergangenem Sommer mit dem TTC Neu-Ulm ein neuer Verein kräftig mit.

Ja, der Klub spielt eine gute Runde. Er hat, wie mit dem Portugiesen Tiago Apolonia, gute Spieler verpflichtet, die wohl sonst keine Gelegenheit gehabt hätten, in der Bundesliga zu spielen.

Einigen hat es nicht gefallen, dass ein Team dank einer Wildcard plötzlich Bundesliga spielen darf.

Die Zeiten haben sich einfach geändert. Das Umfeld dort ist professionell. Es tut dem Tischtennis gut. Natürlich ist es aber grundsätzlich begrüßenswert, wenn sich Vereine auf rein sportlichem Wege qualifizieren.

Für das Final-Four-Pokalfinale Anfang Januar in Neu-Ulm hat sich der TTC Neu-Ulm nicht qualifiziert. Wer ist ihr Favorit auf den Titel?

Wenn Borussia Düsseldorf mit Timo Boll bei solch einem Finale antritt, dann ist es natürlich Favorit. Die anderen Teams – Ochsenhausen, Saarbrücken und Grünwettersbach – haben aber auch ihre Chancen.

Das Pokalfinale wird zum wiederholten Mal in der Neu-Ulmer Ratiopharm-Arena ausgetragen. Wie finden Sie das?

Sehr gut. Da findet man professionelle Bedingungen vor, man kann die Sponsoren gut präsentieren. Das ist eine Top-Halle – und die Zuschauer kommen.

Die Arena in Neu-Ulm könnte eine Art „Wembley“ des Tischtennis, zum festen, jährlichen Austragungsort für das deutsche Pokal-Finale werden. Wie fänden Sie das?

Nun, das ist zunächst einmal Sache der Liga. Also, wenn die Vereine sich darauf verständigen, warum nicht? Das DFB-Pokal-Finale im Fußball ist ja auch immer in Berlin. Ich fände es toll, denn dann wissen die Leute: Anfang Januar ist immer Pokalfinale in Neu-Ulm.

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Erstellt:
11.12.2019, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 50sec
zuletzt aktualisiert: 11.12.2019, 06:00 Uhr

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