Freudenstadt · Stadtuntertunnelung

Der Tunnelbau blinkt am Horizont

Aus zig Verhandlungen sowie Lobbyarbeit werden jetzt konkrete Planung und ein Verfahrensverlauf. Der Tunnel-Baubeginn unter der Stadt rückt näher.

11.10.2019

Von Siegfried Schmidt

Das Tunnel-Westportal beginnt an der Boschenlochkurve.

Das Tunnel-Westportal beginnt an der Boschenlochkurve.

Mit großem Aufgebot an Fachplanern, Projektleitern unter Führung gar der Regierungspräsidentin aus Karlsruhe, Sylvia M. Felder, gab die Behörde am Mittwochabend im Kienbergsaal quasi den Startschuss für die Genehmigungsplanung B 462 Tunnel Freudenstadt. Die Freudenstädter Bürger konnten sich anhand von Kurzreferaten, Experten-Statements, anhand von Stelltafeln, Karten, Diagrammen und Visualisierungen umfänglich über
das aufwändige Planungswerk informieren.

Gleich im kommenden Jahr soll das Planfeststellungsverfahren beginnen. Dessen Zeitdauer wird auf 1 bis 1,5 Jahre geschätzt. Und nach einem Planfeststellungsbeschluss kann dann umgesetzt werden, was jetzt im Kongresssaal als Filmanimation auf die Wand projiziert wurde.

Das jahrzehntealte Tunnelthema, an dessen Realisierung manche schon nicht mehr geglaubt haben, bringt doch noch zahlreiche interessierte Beteiligte zusammen. Der große Tagungssaal war mit weit mehr als 100 Personen gut besetzt, unter ihnen auch vom Tunnelbau unmittelbar betroffene Anlieger. In der Mehrzahl war es am Ende der Präsentation auch dieser Personenkreis, der diverse Einwendungen und Alternativüberlegungen zum Vorgestellten formulierte.

„Er wird kommen“

Während die Regierungspräsidentin in ihrer Begrüßung kurz den langwierigen Durchsetzungsprozess des Tunnelprojekts Freudenstadt skizzierte und allen Anwesenden Erfüllung zusicherte – „Er wird kommen“ -, unterstrich Oberbürgermeister Julian Osswald nochmal die Berechtigung für die Tunnel-Entlastung Freudenstadts. 24000 Fahrzeuge pro Tag im Zentrum der Stadt, auf dem Marktplatz, begleitet von einem erheblich angeschwollenen Schwerlastverkehr, der zumeist nur „durchfahren will“, bildeten für die Innenstadt eine zu hohe Belastung. Im Gefolge der Ortsdurchfahrt-Investitionen und Straßenraum-Verbesserungen der letzten Jahre sei es nur konsequent, den Durchfahrtsverkehr zu verlagern. Dabei müsse man angesichts der politischen Realitäten und der Vielzahl an Ausbaumaßnahmen auf der B 28-Ost-West-Achse, wie der Hochbrücke Horb, dem Tunnelast Baiersbronn Priorität einräumen. Ursprünglich waren ja mal zwei Tunneläste unter Freudenstadt geplant.

Doch seit 2013 existiert die Rangfolgen-Neufestlegung. Der OB nutzte den Abend, um dem Regierungspräsidium (RP) und den politischen Mandatsträgern in Land und Bund für den beharrlichen Einsatz pro Tunnel
zu danken.

Die Präsentation des Tunnelvorhabens war in mehrere Kapitel gegliedert. Die jeweils federführenden Fachplaner aus dem RP Karlsruhe gaben dazu kurz gefasste und prägnante Erläuterungen ab. Nachlesen kann man das gesamte Info-Paket auf der Homepage des RP unter www.rp-karlsruhe.de/ Beteiligungsportal/Aktuelle Straßenplanungen/B 462 Tunnel Freudenstadt.

Die Tunnelstrecke

Zwischen den beiden Eintritts- beziehungsweise Austrittsportalen misst die gesamte Tunnelstrecke unter der Stadt eine Länge von 1,5 Kilometern. Die Baustrecke insgesamt hat eine Länge von 1,9Kilometern. Der Bau des Tunnels, der aus logistischen wie auch aus verkehrlichen und zur Schonung des Cityzentrums vom Ostportal aus betrieben wird, geschieht in geschlossener Bauweise mit Sprengvortrieb, also mittels Gesteinssprengungen. Gebaut wird eine zweistreifige Tunnelröhre, in der Begegnungsverkehr herrscht. Laut Prognose wird der Tunnel die oberirdische Verkehrsmenge um etwa die Hälfte reduzieren. 10 500 Fahrzeuge werden dann pro Tag unterirdisch verkehren. An seiner tiefsten Stelle wird der Tunnel 45 Meter unter dem Stadtniveau verlaufen.

Die Tunnelportale

Das Ostportal an der Kreissparkasse, das vor der Einmündung Ringstraße errichtet wird, und das Westportal ab Beginn der Boschenlochkurve am entgegengesetzten Ende des Tunnelstichs bilden die beiden sichtbaren Hauptbauwerke des Projekts. Projektleiter Nicolai Deveau stellte die Bauwerke einzeln vor. Beide werden einen Rettungsvorplatz haben. Am Ostportal sind Lärmschutzwälle zwischen zwei undfünf Metern Höhe vorgesehen. Am Westportal wird die heutige B 462 Richtung Innenstadt abgestuft und teilrückgebaut (1 Spur).

Die Umweltauswirkungen

Der Landschaftsplaner und Umweltexperte Burchard Stocks sowie der Sachgebietsleiter Technischer Umweltschutz, Frank Hildenbrand, haben die Umweltgegebenheiten innerhalb des Tunnelbauabschnitts und in der Umgebung ermitteln lassen. Sie kommen dabei zu den bekannten Feststellungen: Die Ortsdurchfahrt Freudenstadt ist heute hoch lärm- und luftschadstoff-belastet und sie entwickelt einen ungünstigen „trennenden Effekt“ in der Stadtlandschaft. Dargestellt auf sogenannten Lärmausbreitungs- und -differenzkarten erfahren großflächige Wohnbereiche der Innenstadt dank der Untertunnelung eine Lärmminderung. Nur im näheren Umfeld des Ostportals steigen die Lärmwerte leicht an, allerdings im kaum hörbaren Ausmaß von nur zwei Dezibel, so der Planer. Für den Tunnelmund Ost sind deshalb nicht nur Lärmschutzwälle vorgesehen. Die im Schalltrichter liegenden Gebäude erhalten passiven Schallschutz. Auch in Sachen Luftschadstoffe wird Freudenstadt anhand der Strömungs- und Ausbreitungsmodelle „in großen Teilen profitieren“. Die Luftreinhalte-Grenzwerte werden zum Teil deutlich unterschritten.

Für den Tunnelaushub rechnen die Ingenieure mit rund 350 000 Kubikmeter Erd- und Gesteinsmassen. Allein um das Ausbruchsmaterial zur Weiterverwendung oder Zwischendeponierung abzufahren, werden während der auf 4 bis 4,5 Jahre geschätzten Bauzeit 26 000 Kipper-Fahrten benötigt. Zusammen mit dem weiteren Baustellenandienungsverkehr wird mit 30 000 Einzelfahrten gerechnet. Die Umwelteingriffe sind als überschaubar qualifiziert. Am Westportal müssen 1500 Quardratmeter Waldfläche gerodet werden, 650 Quardratmeter Boden werden insgesamt neu versiegelt.

Das Denkmal Rußhütte

Wegen des Raumbedarfs Ostportal muss das frühindustrielle Steinhaus-Gebäude Rußhütte dort entwidmet und abgetragen werden. Auch wenn noch kein Standort für einen Neuaufbau gefunden ist – erste Überlegungen sind ja im Zusammenhang mit der Gartenschau 2025 getroffen -, geht die RP-Planungsabteilung von einer klaren Absicht für eine Wiedererrichtung aus. Das ließen die Äußerungen vorgestern Abend im Kienbergsaal erkennen. Eine planungs- oder gar bauverzögernde Wirkung durch die Rußhütte und ihre notwendige Versetzung wird auch nicht gesehen.
Das Ostportal für den Tunnel unter Freudenstadts Innenstadt liegt bei der Kreissparkasse noch vor der Einmündung Ringstraße. Visualisierungen: Regierungspräsidium Karlsruhe

Das Ostportal für den Tunnel unter Freudenstadts Innenstadt liegt bei der Kreissparkasse noch vor der Einmündung Ringstraße. Visualisierungen: Regierungspräsidium Karlsruhe

Rege Bürgerbeteiligung in sachlichem Dialog beim Bürgerforum zum geplanten Tunnelbau

Das Bürgerforum zum geplanten Tunnel in Freudenstadt hat nicht nur eine aufmerksame Zuhörerschaft gefunden, sondern auch eine in sehr sachlichem Rahmen geführte Beteiligung erfahren. Etliche Nachfrager äußerten sich zu Themenbereichen wie Umweltauswirkungen, baulichen Belastungen oder machten Alternativvorschläge hinsichtlich der wohl noch strittigen Verkehrsabwicklung am Tunneleingang Ostportal.

Dort will das RP den oberirdisch Richtung Stadtmitte abfließenden Verkehr mittels einer Ampelanlage steuern. Die dadurch entstehenden Brems- und Anfahrtbewegungen des Verkehrs kritisierten einige Bürger und Anrainer als verkehrs-erschwerend und lärmbelastend. Sie schlugen einen Kreisverkehr als Verteiler am Tunnelportal vor sowie eine Fußgängerbrücke.

Von RP-Seite wurde jedoch eingewendet, dass dies einen zu hohen Flächenbedarf nach sich zöge und dass es in Folge eines Verkehrskreisels zu Rückstaus in den Tunnel hinein kommen kann. Ein Kreisverkehr lasse sich nicht wie eine kontaktgesteuerte Ampel von außen kontrollieren.

Kritisch wird von Bürgern die Tunnelentlüftung betrachtet. Diese soll aufgrund der mäßigen Tunnellänge in selbststeuernder Weise – über die Portalöffnungen – erfolgen und keine mechanischen Hilfen benötigen. Die Ostportal-Anwohner sehen sich deshalb Abluft-Winden ausgesetzt. Freilich würde ein eigens errichteter Abluft-Kamin nicht nur erhöhte Baukosten verursachen, sondern könnte in Zentrumsnähe auch dem Stadtbild abträglich sein.

Zugesichert wurde von RP-Seite, dass das Ausbruchmaterial beim Tunnelvortrieb sofort klassifiziert und zur Weiterverwendung an definierte Baustellen gefahren wird. Eine Zwischenlagerung des Aushubs auf der Erddeponie Birre werde es wahrscheinlich ebenfalls geben, eine großräumige Deponierung komme aber nicht in Betracht, schon allein aufgrund des Kreislaufwirtschaftgesetzes.

Für die (Müll-) Altablagerungen im Boschenloch und den Baugrund dort sind laut Planung umfangreiche Stabilisierungsmaßnahmen vorgesehen, auch eine sogenannte Hangvorschüttung.

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Erstellt:
11.10.2019, 14:09 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 25sec
zuletzt aktualisiert: 11.10.2019, 14:09 Uhr

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