Horb · Porträt

Der Weg zum Kampfmönch

Martin Strauch (19) wird ab Januar bei Kaiserslautern zum Shaolin-Mönch ausgebildet. Ein Besuch bei seinem letzten Training in Horb.

31.12.2019

Von Mathias Huckert

Angriff und Verteidigung: Martin Strauch (links) beim Trainingskampf mit Ralf Schneider in der Turnhalle der Horber Grundschule.Bilder: Karl-Heinz Kuball

Angriff und Verteidigung: Martin Strauch (links) beim Trainingskampf mit Ralf Schneider in der Turnhalle der Horber Grundschule.Bilder: Karl-Heinz Kuball

Ganz langsam lässt Martin Strauch die Füße kreisen. Erst den Linken, danach den Rechten. Seine Zehenspitzen berühren kaum den kalten Hallenboden, er steht leicht gebückt in der Turnhalle der Gutermann-Grundschule. Zum Warmmachen hat er sich eine Ecke etwas abseits der Halle ausgesucht. In der hinteren Hallenhälfte stehen ein Dutzend Taekwondo-Schüler in Reih und Glied – sie alle schenken nur ihrem Trainer Beachtung, ahmen die Bewegungen nach, die der Mann mit dem schwarzen Gürtel vormacht.

Martin Strauch blendet all das aus. Vor ein paar Minuten ist er erst angekommen, den weißen Dobok, seinen Kampfanzug, trug er bereits unter seiner Winterjacke. Nachdem er die Schuhe ausgezogen hatte, wurde er kurz von seinem Trainer Ralf Schneider begrüßt. „Du hast dein Kung-Fu-Outfit ja auch schon drunter“, hatte der Trainer knapp bemerkt.

Jetzt, als Strauch in die Hocke geht und langsam den gesamten Körper dehnt, blitzt kurz das schwarze Kung-Fu-Hemd unter der leichten, weißen Taekwondo-Jacke hervor. Die Gelenke knacken hörbar in der Halle. Dann richtet sich der 19-Jährige Horber auf, rückt seinen gelb-grünen Gürtel – ein Zeichen für die drei bestandenen Taekwondo-Prüfungen – zurecht und sagt: „Jetzt bin ich bereit“.

Was er meint, ist der bevorstehende Trainingskampf gegen Ralf Schneider. Aber es steckt noch mehr hinter der Aussage des jungen Mannes. Denn ab morgen wird sich Strauchs Leben grundlegend ändern. Er wird nach Otterberg gehen. Der kleine Ort bei Kaiserslautern birgt eine Besonderheit: In einem Wald hinter dem 5000-Seelen-Dorf steht seit mehr als 20 Jahren ein Kloster der Shaolin-Mönche. Martin Strauch wird ab morgen unter ihnen leben – und lernen, ein Mönch zu sein. Heute, an diesem Tag kurz vor Weihnachten in Horb, ist Strauch ein letztes Mal zum Training gekommen. Hier kann er die Leidenschaft für den Kampfsport mit anderen ausleben. Sein Trainer Ralf Schneider trug den schwarzen Gürtel schon vor Strauchs Geburt. Als die beiden Männer zunächst langsam Schläge und Tritte austauschen, zeigt sich, was Schneider seinem Schüler innerhalb von fast zwei Jahren beigebracht hat. Präzise Tritte platziert Strauch in Kopfhöhe seines Trainers – nur etwa einen Handbreit vor dem Körper des Gegenübers stoppt er. Abwechselnd gehen gezielte Haken und schnelle Hiebe von den Kämpfern aus.

Am Ende stehen beide noch. Auf die Verbeugung folgen ein Handschlag und zwei lächelnde Kämpfer. „Es ist einfach toll zu sehen, wenn sich ein Schüler so weiterentwickelt“, sagt Schneider kurz darauf. Wehmut schwingt trotzdem in seiner Stimme mit, denn er weiß: Sein Schüler ist zum vorerst letzten Mal hier. Nachdem er eine Reportage über das Kloster in Rheinland-Pfalz gesehen hatte, war für Strauch klar: Er will zu den Shaolin – und er will ein Meister werden.

Leben nach dem Zölibat

Im September hatte er eine Woche im Kloster verbracht. Hatte mit den Mönchen trainiert, gegessen und gekämpft. Zwei Monate später unterschrieb er den Vertrag, zunächst für ein Jahr. Fünf Mal so lang dauert die Ausbildung – und bringt Verpflichtungen mit sich: Von 6 Uhr morgens bis 22 Uhr am Abend wird trainiert, gearbeitet und meditiert. Als Novize wird Strauch auf Genuss verzichten, und dem Materialismus entsagen. Auch Sex darf er als Shaolin nicht haben. Für ihn ist dieses Zölibat nichts Neues – denn Strauch lebt bereits nach den Regeln der Shaolin: „Mir wurde klar, dass Genuss in jeder Form nur für kurze Zeit glücklich macht“, erklärt er. Hinzu kommt der Buddhismus, der dem 19-Jährigen als Orientierung dient. „Für mich ist es eine Philosophie“, sagt er.

Er wählt seine Worte mit Bedacht und redet davon, wie ihn der fernöstliche Glaube beim Umgang mit Stress unterstützt: „Er lehrt mich, alle Störfaktoren auszublenden – wichtig ist die vollkommene Achtsamkeit.“ Immer wieder unterstreicht Strauch seine Aussagen mit Gesten, die fast wie Choreographien wirken – und verdeutlichen, wie wichtig ihm sein Vorhaben ist. Die Disziplin der Shaolin zeigte sich bei Strauch bereits, als er seinen Entschluss gefasst hatte: 4000 Euro muss er für das Novizenjahr bei den chinesischen Mönchen zahlen. Nach seinem mittleren Bildungsabschluss brach er das Gymnasium ab – und schnitt bei der Firma Racemark so lange Autofußmatten zurecht, bis er die Summe zusammenhatte.

Nach dem Kampf gegen seinen Trainer macht Strauch alleine weiter: Unter großer Anstrengung stemmt er sich aus dem normalen Liegestütz in die Höhe, wieder und wieder. Kurz darauf nimmt er den „Sidekick-Hold“ –eine Übungshaltung aus dem Kung-Fu – ein: Das linke Bein und den linken Arm reißt er nach oben und verharrt. So lange, bis er zu zittern beginnt. Vier Jahre hat er daran gearbeitet, diese Haltung zu perfektionieren.

Mit vor Anstrengung rotem Kopf erzählt Strauch davon, nach Horb zurückzukehren, als Shaolin-Meister – und der Idee, seine eigene Kampfschule zu gründen. Aber Strauch blickt nicht zu weit nach vorne: Auf die Frage, ob er jetzt, unmittelbar vor dem Beginn seiner Zeit im Kloster, aufgeregt ist, folgt eine lange Pause. Dann sagt er: „Klar bin ich das. Aber ich bewahre trotzdem meine Ruhe“. Ganz wie ein echter Shaolin.

Maximale Anspannung: Martin Strauch beim „Sidekick Hold“.

Maximale Anspannung: Martin Strauch beim „Sidekick Hold“.

Der Weg zum Kampfmönch

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Erstellt:
31.12.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 38sec
zuletzt aktualisiert: 31.12.2019, 01:00 Uhr

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