Mystery of the Brain

Tübinger Logothetis-Symposium: Ein Verlust an Vertrauen

Ohne Tierversuche geht es nicht, sagen führende Hirnforscher. Am Dienstag diskutierten sie über Probleme der Grundlagenforschung.

18.09.2019

Von Ulrich Janßen

Nikos Logothetis am Dienstagabend auf einem Podium im Audimax der Tübinger Universität. Bild: Jörg Abendroth

Nikos Logothetis am Dienstagabend auf einem Podium im Audimax der Tübinger Universität. Bild: Jörg Abendroth

Nikos Logothetis genoss es sichtlich, dass so viele renommierte Kollegen aus aller Welt gekommen waren, um ihm den Rücken zu stärken. „Hey Nikos!“ Immer wieder musste der Neurobiologe auf dem Symposium zu seinen Ehren kurz stehen bleiben, weil ein alter Weggefährte ihn umarmen wollte. In der wissenschaftlichen Community, das war unübersehbar, genießt der Tübinger Max-Planck-Direktor, der wegen eines „sternTV“-Berichts über seine Affenversuche von einem Tag auf den anderen in einen Alptraum geriet, großen Rückhalt. Bis heute leidet der Forscher unter den Folgen der Attacken gegen ihn und seine Forschung. Ohne Beruhigungsmittel kann der 68-Jährige noch immer nicht arbeiten.

Das Symposium mit dem Titel „Mystery of the Brain“ richtete seine Tübinger Forschungsgruppe für ihn aus. „Heimlich hinter meinem Rücken“, wie Logothetis verriet. Er habe erst kurz vorher erfahren, was da geplant war und vor allem, dass nicht eine/r der angefragten Hirnforscher abgesagt habe.

Sie kamen aus Boston und Stanford, aus Zürich, London, Genf, Sendai, Moskau, Nijmwegen, Paris und Shanghai. Über 30 Spitzenforscher meldeten sich an, darunter auch mehrere Nobelpreisträger, weshalb das Symposium von den geplanten eineinhalb Tagen kurzentschlossen auf vier Tage verlängert wurde. Am Montag hatte auch Tübingens OB Boris Palmer, der sich für den attackierten Forscher stets eingesetzt hatte, die Gäste begrüßt. Man solle, mahnte er in seiner Rede, Entscheidungen immer erst treffen, wenn man alle Tatsachen kenne.

Dass die Münchner Max-Planck-Gesellschaft Logothetis von seinen Ämtern entband, bevor ein Gericht die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft prüfte (und das Verfahren einstellte), hat Logothetis schwer getroffen. Bis heute hat sich die Zentrale aus München bei ihm dafür nicht entschuldigt, was der Grieche öffentlich nicht kommentieren wollte. Allerdings machte er keinen Hehl daraus, wie groß seine Genugtuung ist über die Unterstützung der wissenschaftlichen Kollegen aus aller Welt.

Immerhin übernimmt das Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, an dem Logothetis seit 1996 forscht, die Kosten für das Symposium, das sich am Dienstag offiziell mit der Rolle der Grundlagenforschung beschäftigte. Hauptsächlich aber ging es um Tierversuche.

Die fünf Neurowissenschaftler Gustavo Deco aus Barcelona, Allyson Bennett aus Wisconsin, Semir Zeki aus London, Giorgio Innocenti aus Stockholm und Anthony Movshon aus New York (Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard hatte kurzfristig abgesagt) waren sich einig, dass weltweit die Skepsis gegenüber der Grundlagenforschung wächst. „Der Verlust an Vertrauen in die Forscher ist ein fundamentales Problem“, meinte die Moderatorin und Nature-Journalistin Alison Abbott. Einig waren sich die Forscher, dass neurowissenschaftliche Grundlagenforschung ohne Tierversuche nicht möglich ist. „90 Prozent der Erkenntnisse verdanken wir der Forschung am Tiermodell“, sagte Allyson Bennett. Die Möglichkeit mit Tieren zu forschen, sollten die Wissenschaftler aber nicht als Recht verstehen, riet Semir Zeki, sondern als „Privileg“. Wissenschaftler müssten immer wieder erklären, „warum und wofür wir öffentliche Gelder benötigen.“ Aufklärung und Transparenz seien ebenso nötig, wie die „proaktive“ Vorbereitung auf öffentliche Kritik in den forschenden Institutionen.

Dass alle Offenheit nichts nutzt, wenn radikale Tierschützer auftreten, daran erinnerte Nikos Logothetis: „Wir waren so offen, wie man nur sein kann.“ In Tübingen habe man nicht nur die Forschung bereitwillig erklärt, sondern auch Journalisten die Affenhaltung vorgeführt. Ohne Erfolg. Er forderte deshalb ein größeres Engagement von wissenschaftlichen Organisationen: „Sie müssen aufstehen für ihre Forscher.“

Wie sehr sich die Hirnforscher momentan in der Defensive sehen, verdeutlichte Anthony Movshon: „Wir sind dabei, den Kampf zu verlieren“, erklärte er. Umfragen zeigten, dass die Unterstützung für Tierversuche schwinde: „In spätestens zehn Jahren wird es eine Mehrheit dagegen geben.“ Movshons Folgerung: „Was immer wir tun, wir sollten es schnell tun.“

Das Treffen der weltbesten Hirnforscher

Zu Ehren von Nikos Logothetis reisten am Montag über 30 führende Neurowissenschaftler nach Tübingen. Auf dem Symposium „Mystery of the Brain“ diskutierten sie vier Tage lang über neue Erkenntnisse und darüber, wie sich das Ansehen der Hirnforschung verbessern lässt.

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Erstellt:
18.09.2019, 23:06 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 59sec
zuletzt aktualisiert: 18.09.2019, 23:06 Uhr

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