Horb · Justiz

Entscheidung fällt frühestens Ende Dezember

Für den Prozess gegen zwei Männer, die den Nordstetter Michael Riecher getötet haben sollen, waren ursprünglich zehn Verhandlungstage angesetzt. Inzwischen sind es schon 24, am heutigen Montag wird erneut verhandelt.

28.10.2019

Von Manuel Fuchs

Entscheidung fällt frühestens Ende Dezember

Die Verhandlung vor der 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweil am Freitag war geradezu exemplarisch für die Ursachen, die in eine derart lange und langwierige Verhandlung münden: Beide Angeklagten sind keine Muttersprachler des Deutschen; für sie wird die Verhandlung simultan ins Arabische übertragen. Auch viele Zeugen sind der Ansicht, dass sie in ihrer Muttersprache präziser als im Deutschen formulieren können, sodass auch sie gedolmetscht werden. Dokumente, Chatverläufe, Notizen, Tonaufzeichnungen und dergleichen müssen in mindestens zwei Sprachen vorliegen.

Einer der zentralen Zeugen ist nachweislich schwer traumatisiert; es steht zu befürchten, dass unmittelbarer Kontakt mit den Angeklagten seine Erkrankung akut verschlimmern würde. Deshalb wurden die Angeklagten während seiner Befragung in einen anderen Raum gebracht und die Verhandlung per Videotechnik dorthin übertragen. Auch dass beide Angeklagte mit jeweils zwei Verteidigern am Verfahren beteiligt sind, sichert wahrscheinlich dessen juristische Qualität, beschleunigt es allerdings nicht: Allen Beteiligten räumt die Strafprozessordnung umfassende Rechte zur Zeugenbefragung, zu Stellungnahmen und Anträgen ein.

Abweichungen von Aussagen

Obendrein ergeben sich in der Rückschau Missverständnisse und mögliche Übersetzungsfehler: Viele Zeugen sind bereits vor Monaten polizeilich vernommen worden – zum Teil ohne Dolmetscher, zum Teil mit einem Bekannten, der mutmaßlich etwas besser deutsch sprach als der Zeuge selbst. Aus den Protokollen solcher nach besten Wissen und Gewissen improvisierter Konstellationen ergeben sich mitunter Abweichungen von den Aussagen derselben Zeugen in der Hauptverhandlung. Seinen Tagesablauf an Uhrzeiten auszurichten, scheint überdies ein westeuropäisches Phänomen zu sein. Einige Zeugen messen jedenfalls präzisen Angaben zu Uhrzeiten offenkundig weniger Bedeutung bei als die Prozessbeteiligten, was ebenfalls zu Widersprüchen führt.

Insbesondere die Anwälte des ersten Angeklagten, Alexander Hamburg und Dr. Alexander Kubik verwenden regelmäßig viele Nachfragen darauf, diese Unterschiede herauszuarbeiten und als wacklige Erinnerung des Zeugen, ein unsauber geführtes Protokoll oder Ermittlungspanne im Raum stehen zu lassen. Oberstaatsanwalt Dr. Christoph Kalkschmid und den Vertretern der Nebenklage fällt die Aufgabe zu, die Abweichungen durch weitere Nachfragen plausibel zu machen und möglichst viel vom Kern des Gesagten gerichtsverwertbar zu halten.

Hinzu kommen Vorgänge wie dieser: In der Verhandlung am vorigen Montag hatte ein Zeuge ausgesagt, dass er alle Telefonate, die mit seinem Handy geführt würden, aufzeichne. Das betreffe auch Gespräche des Tatopfers mit dem ersten Angeklagten; diesem habe er sein Handy hin und wieder zur Verfügung gestellt. Ein Hinweis auf diese Aufzeichnungen findet sich zwar in den Gerichtsakten, den Verteidigern des ersten Angeklagten wurde aber offenbar erst in der vorigen Verhandlung klar, welche Möglichkeiten diese Aufzeichnungen im Rahmen der Verhandlung bieten. Da sie keinen unmittelbaren Zugriff darauf hatten, so argumentierten sie in einem Antrag am Freitag um kurz nach 9 Uhr, sei ihnen ein entsprechender Datenträger zur Verfügung zu stellen und das Verfahren auszusetzen, damit sie sich anhand der riesigen Datenmenge auf die neue Sachlage vorbereiten könnten. Außerdem sei zu prüfen, ob das Handy zwischenzeitlich weitere Gespräche aufgezeichnet habe. Diese könnten für das Verfahren von Bedeutung sein.

Anträge zurückgewiesen

Der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer gewährte Oberstaatsanwalt Kalkschmid etwas Zeit zur Vorbereitung einer Stellungnahme, die er um 10 Uhr vortrug: „Ich halte den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens für unbegründet“, begann er. Eine Änderung der Sach- und Verfahrenslage sei nicht einmal im Ansatz zu kennen. Die Verteidigung hätte die aufgezeichneten Gespräche jederzeit anfordern können. Da die Beweisaufnahme frühestens am 18. November abgeschlossen werde, habe die Verteidigung genug Zeit, sich vorzubereiten und zu reagieren.

Während sich die Kammer beriet, erläuterte ein Anwalt der Nebenklage im Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE: „Viele dieser Anträge zielen darauf, prozessurale Fehler zu erzeugen und Revisionsgründe zu schaffen.“ Entscheidungen des Richters können nur im Rahmen der Hauptverhandlung gerügt werden. Das Einfordern eines Gerichtsbeschlusses gelte als Rüge; dann spreche nicht – wie in einer Verfügung - der Vorsitzende Richter, sondern die ganze Kammer. Dieses Mittel hatten die Anwälte Hamburg und Dr. Kubik bereits mehrfach eingesetzt. Um 11 Uhr verkündete die Kammer ihren Beschluss: Die Anträge wurden zurückgewiesen. Dass im Laufe einer Hauptverhandlung Details bekannt werden, die nicht in den Akten stehen, sei ein normaler Vorgang. „Allein aus der Möglichkeit, dass weitere Mitschnitte bestehen, drängt sich eine Beweiserheblichkeit für das vorliegende Verfahren nicht auf“, sagte Münzer.

Um 11.10 Uhr sollte der erste Zeuge des Tages befragt werden. Er hatte die beiden Angeklagten miteinander bekannt gemacht und saß bereits mehrfach im Rottweiler Zeugenstand, zuletzt am 5. August. Richter Münzer stellte fest, dass die letzte Frage an den Zeugen von Rechtsanwalt Kristian Frank, einem Verteidiger des zweiten Angeklagten, gestellt worden war und erteilte diesem das Fragerecht. Rechtsanwalt Hamburg war hingegen der Ansicht, das Fragerecht gebühre ihm. Es erging die offizielle Verfügung des Richters, das Fragerecht gehe an Rechtsanwalt Frank. Hamburg hielt dem entgegen, in der – zugestandenermaßen ungeordneten – Befragung am 5. August haben er und Dr. Kubik dem Zeugen Sachfragen gestellt, Frank hingegen nur Fragen zum Gesundheitszustand des Zeugen. Er beantragte daher einen Gerichtsbeschluss. Diesen eröffnete Richter Münzer im Namen der Kammer um 11.30 Uhr mit der schon mehrfach geäußerten Formel: „Es bleibt bei der Anordnung des Vorsitzenden. Sie ist nicht ermessensfehlerhaft.“

Danach konnte die eigentliche Befragung des Zeugen – zunächst durch Rechtsanwalt Frank – beginnen. Sie dauerte, mit Unterbrechungen, bis etwa 17.30 Uhr, beschäftigte sich nahezu vollständig mit dem Abgleich von Aussagen des Zeugen, die er zu unterschiedlichen Zeitpunkten getätigt hatte, und brachte keine Erkenntnisse, die in den Augen des Beobachters neu und tatrelevant gewesen wären.

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Erstellt:
28.10.2019, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 28.10.2019, 01:00 Uhr

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