Freudenstadt · Polizeieinsatz

Freikirche im Clinch mit dem Staat

60 Ordnungswidrigkeiten wurden am Sonntag bei einem Gottesdienst in Freudenstadt festgestellt. Geistliche aus Horb und Freudenstadt distanzieren sich vom Vorgehen der Agape-Glaubensgemeinschaft.

02.02.2021

Von Benjamin Breitmaier

Wie geht es weiter mit der Agape-Gemeinde in Freudenstadt? Nach dem massiven Polizeieinsatz am Sonntag bleiben die Verantwortlichen noch eine Stellungnahme schuldig. Bilder: Karl-Heinz Kuball

Wie geht es weiter mit der Agape-Gemeinde in Freudenstadt? Nach dem massiven Polizeieinsatz am Sonntag bleiben die Verantwortlichen noch eine Stellungnahme schuldig. Bilder: Karl-Heinz Kuball

Mai 2020: Mehr als 200 Mitglieder einer Frankfurter Baptistengemeinde stecken sich mit dem Coronavirus an. Oktober 2020: Über 80 Infizierte in einer Freien Christlichen Gemeinde in Villingen-Schwenningen. 31. Januar 2021: Die Polizei löst in Freudenstadt einen Gottesdienst der Agape-Gemeinde – einer freichristlichen Glaubensgemeinschaft mit Sitz in der Nähe des Stadtbahnhofs – auf.

Der Grund: massive Verstöße gegen die Corona-Verordnung der Landesregierung. Horbs leitender Pastor der Volksmission distanziert sich von dem Vorgehen der Freudenstädter Glaubensgemeinschaft. Er appelliert: „Bitte schert uns nicht über einen Kamm.“

Was ist passiert?

Einen solchen Einsatz hat Gerold Schumacher noch nicht erlebt. Sonntagvormittag, 31. Januar, in der Nähe des Stadtbahnhofs trifft Freudenstadts Polizeirevierleiter mit einem Großaufgebot an Kräften ein. Die Beamten werden von Kollegen außerhalb der Kreisgrenzen verstärkt.

Es gibt einen Grund für das eindrückliche Aufgebot an Einsatzkräften: ein Gottesdienst der Agape-Gemeinde. Seit Monaten liegen den Beamten Hinweise vor, wie in dem unscheinbaren Gebäude im Zentrum Freudenstadts regelmäßig gegen die Corona-Verordnung verstoßen wird.

Schumacher: „Wir waren Anfang und Ende Dezember Hinweisen aus der Bevölkerung gefolgt.“ Beim ersten Mal stellten die Beamten nur „leichte Verstöße“ gegen die Verordnung fest.

Schumachers Kollegen suchten das Gespräch mit den Veranstaltern, Paul und Irene Rotfuss, dem „Pastorenehepaar“, wie es auf der Webseite der Glaubensgemeinschaft heißt. Beim zweiten Einsatz seien die Verhältnisse laut Schumacher „eher ungünstiger“ geworden. Es gab keine Anwesenheitsliste, nur vereinzelt wurde Mund-Nasen-Schutz getragen. Abstände wurden nicht eingehalten. Schon damals spielten die Beamten mit dem Gedanken, die Veranstaltung aufzulösen. Laut Schumacher hätten sie damals nicht die Einsatzstärke aufgebracht, die für einen Einsatz dieser Art notwendig gewesen wären.

Nach weiteren Hinweisen
aus der Bevölkerung entschied sich Freudenstadts Revierleiter schließlich für einen härteren Kurs: „Es war eine schwierige Einsatzlage“, meint Schumacher im SÜDWEST-PRESSE-Gespräch, „wir hatten aber ausreichend Kräfte vor Ort, um jede mögliche Lageentwicklung in den Griff zu bekommen.“

Was die Beamten antrafen, hatte nur wenig mit „leichten Verstößen zu tun“. Es gab weder eine Anwesenheitsliste zur Kontaktnachverfolgung, noch war ausreichend Platz für die etwa 90 Personen vorhanden, die an dem Gottesdienst teilnahmen. Laut Schumacher hätte der Veranstalter den Gottesdienst anmelden müssen. „Im Hauptraum war jeder Platz belegt“, meint der Polizeioberrat. Die Bestuhlung wäre überdimensioniert. „Es gab kein Ermessen die Veranstaltung so weiterlaufen zu lassen.“ In dem 40- bis 50-minütigen Einsatz dokumentieren Schumacher und seine Kollegen etwa 60 Verstöße gegen die Corona-Verordnung. Die juristische Aufarbeitung werde lange dauern, er hoffe aber, dass es zu keinem weiteren Einsatz dieser Art kommen wird.

Keine Einsicht

Dass sich diese Hoffnung bewahrheitet, darf bezweifelt werden. Noch bis Redaktionsschluss war auf dem Youtube-Kanal der Agape-Gemeinde ein Video zu sehen, in dem Paul Rotfuss die Geschehnisse kommentiert. Der selbsternannte Pastor gibt sich darin kämpferisch: „Da kamen Menschen rein, die haben unseren Gottesdienst aufgelöst, obwohl die Gemeinde wunderbar mitgemacht hat, wir haben Gott weiter gelobt, Gott groß gemacht, haben gesungen, gebetet“, erklärt Rotfuss und fügt an: „Wir wollen uns nicht einschüchtern lassen.“ Er danke jedem, der an „seinem Glauben festgehalten hat“.

Der Geistliche spricht – Minuten nach dem Polizeieinsatz – davon, dass das „Wort Gottes weiter von dieser Kanzel aus gepredigt wird“. Worte des Bedauerns gibt es in den Ausführungen nicht. Auf der Webseite der Glaubensgemeinschaft, die als Verein organisiert ist, findet sich kein einziges Wort zur aktuellen Pandemielage.

Die Ausführungen des Geistlichen ernten bei den Kommentatoren des Videos wenig Verständnis. So schreibt ein Nutzer: „Unser Glaube wird nicht eingeschränkt, wenn wir uns an die Verordnungen halten und deshalb zeugt es nicht von Gott, wenn dagegen verstoßen wird.“

Volksmission geht anderen Weg

Ein Horber Geistlicher, der den Kommentar mit hoher Wahrscheinlichkeit unterstreichen würde, ist Martin Lütjohann, Pastor der Horber Volksmission, einer „familiären und aktiven evangelischen Freikirche“, wie es auf deren Internet-Auftritt heißt. Im Gegensatz zur Agape-Gemeinde ist die Volksmission eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, Lütjohann ist ordinierter Geistlicher. „Das ist nicht lustig, dass der Kollege seine Verantwortung nicht wahrgenommen hat, davon möchte ich mich distanzieren“, erklärt er im SÜDWEST-PRESSE-Gespräch.

Seine Gemeinde geht einen anderen Weg. Das wird schon beim Blick auf deren Webseite deutlich. Dort stehen klar formulierte Informationen zum Tragen von FFP2-Masken, wie die Anmeldung zu Gottesdiensten funktioniert. Aus Platzgründen werden zwei Gottesdienste angeboten. Besuche sind nur mit Voranmeldung möglich. Wer keine FFP2-Maske zur Hand hat, dem wird eine zur Verfügung gestellt.

Seit siebeneinhalb Jahren ist Lütjohann Pastor in Horb. Im Hauptberuf arbeitet er jedoch als Krankenpfleger. Der Geistliche erfuhr aus erster Hand die Gefährlichkeit von Covid-19: „Ich war geschockt, wie schnell ein Mensch an der Krankheit sterben kann.“ Er stehe deshalb hinter den staatlichen Maßnahmen. Den Vorfall in Freudenstadt will er auch in seiner Gemeinde thematisieren. Lütjohann wirbt darum, nicht alle „über einen Kamm zu scheren“. Er fürchtet, dass der Ruf anderer Freikirchen aufgrund von Vorfällen wie in Freudenstadt leidet. Er und seine Gemeinde halten sich an die Vorgaben, nicht „weil der Staat das vorgibt, sondern das Wohl der Bevölkerung uns am Herzen liegt“.

Ähnliche Worte finden sich auch in einer Publikation der „Crossroads Church Freudenstadt“, einer weiteren freichristlichen Gemeinde. Pastor Jivko Jacobs schreibt darin: „Wir distanzieren uns entschieden von dieser Haltung und den Handlungen, die nicht den von der Regierung vorgegebenen Corona-Regelungen entsprechen.“

Die Gemeinde sehe es als hohes Gut und Privileg an, während der Pandemie weiterhin Gottesdienste feiern zu dürfen. Wie die Horber Volksmission würden sich auch hier sämtliche Beteiligte an die Vorgaben der Corona-Verordnung halten.

Hohe Bußgelder

Die Verantwortlichen und Mitglieder der Agape-Gemeinde, denen Verstöße gegen die Verordnung zur Last gelegt werden, müssen nun mit hohen Bußgeldern rechnen. Einsatzleiter Schumacher betont, dass alle relevanten Personalien aufgenommen wurden. Die vorgesehenen Bußgelder reichen von 50 bis zu mehreren Tausend Euro.

Genaueres möchte Marco Gauger, Pressesprecher der Stadtverwaltung Freudenstadt, nicht zu dem Vorfall sagen. Die Aufarbeitung werde Zeit in Anspruch nehmen.

Das Geschehen in der Agape-Gemeinde wird Revierleiter Schumacher genau beobachten. Der Blick auf das Gottesdienst-Video gibt Anlass zur Vermutung, dass es zu weiteren Konflikten kommt. Nach Rotfuss betritt darin ein Mann, der mit dem Namen Arthur Hauk angekündigt wird, die Bühne. Thema der Predigt: „Schau nicht auf die Mehrheit.“

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Erstellt:
02.02.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 11sec
zuletzt aktualisiert: 02.02.2021, 01:00 Uhr

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