Horb · Europawahl

Grüne Morgenluft

Das vorläufige amtliche Endergebnis der Europawahl steht fest. Auch im Landkreis Freudenstadt waren die Verschiebungen in der Stimmenverteilung spürbar.

27.05.2019

Von Fuchs

Grüne Morgenluft

Von Stimmung war im Wahlstudio der Stadt Horb gestern Abend nicht viel zu spüren: Nur wenige Bürger hatten sich zur Auszählung der Europawahl im Rathaus eingefunden, ein paar genossen lieber noch die letzten Sonnenstrahlen auf der neuen Holzterrasse auf dem Marktplatz. „Tja, was soll man sagen“, kommentierte FD/FW-Stadträtin Silke Wüstholz die Trends: CDU, SPD und FDP verlieren im Kreis, die Grünen und die AfD legen zu. Gespannt blicken die meisten nun auf heute, denn erst am Montag werden die Gemeinderatswahlen ausgezählt. Da dürfte es weitere Überraschungen geben.

Michael Keßler (CDU)

Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Horber Gemeinderat, Michael Keßler, beurteilt das Ergebnis seiner Partei mit gemischten Gefühlen. Fokussiere man den Blick auf Horb, zeige sich mit 34,25 Prozent ein ganz passables Bild. Der Bundestrend spreche jedoch eine andere Sprache: „Wenn man sieben Prozentpunkte verliert, also jeden fünften Wähler, dann kann und darf man damit nicht zufrieden sein“, sagt Keßler kämpferisch. Einen Grund für die Verluste vermutet er darin, „dass sich die großen Parteien immer ähnlicher werden“. Außerdem sei die Wahl einer Volkspartei, die viele Themen und noch mehr Positionen in internen Flügeln unter einen Hut bringen möchte, immer kompromissbehaftet. „Kaum jemand wird sich zu 100 Prozent mit einer großen Partei identifizieren.“ Eine maßgebliche Zahl von Wählern suchten aber offenbar eine Partei, mit der sie lediglich in einem oder zwei Kernpunkten übereinstimmten, ohne den Blick auf das Gesamtbild zu erweitern. Das verschiebe den Zuspruch an die politischen Ränder und erzeuge Verluste in der Mitte.

Wolf Hoffmann (OGL/Grüne)

Eindeutige Gewinner des Europawahlabends auch in Horb sind die Grünen. Wolf Hoffmann, OGL-Kandidat für den Horber Gemeinderat, sagte: „Das ist ein großes Ergebnis für Europa und für den Klimaschutz – das ist auch das, was wir hier in Horb anpacken müssen, ein großer Auftrag für die Zukunft.“ Wohl habe er mit einem guten Abschneiden seiner Partei gerechnet, mit einem derartig guten allerdings nicht. Hoffmann: „Der Trend ist ein Riese, der hat uns auch hier in Horb geholfen.“ Inhaltliche Gründe für das starke Bundes- und Kreis-Ergebnis sieht Rolf Linke, Kreisvorsitzender: „Unser Kernthema Klimaschutz landet endlich vorne auf der Agenda.“ Im Vergleich zum Wahlkampf vor fünf Jahren wurde deutlich: „Insbesondere die Offenheit für unsere Themen war stärker.“ Erleichtert zeigte er sich zugleich über das schlechte Abschneiden der Rechten. „Die demokratische Parteien haben eine satte Mehrheit“, sagte Linke. Dieses Ergebnis bedeute aber auch Arbeit, weil sich die Grünen entsprechend Verbündete für die Zukunft suchen müssten. „Nun müssen CDU und SPD, aber auch alle anderen demokratischen Parteien zeigen, dass ihnen der Klimaschutz wichtig ist.“

Günther Schöttle (AfD)

„Wir wollten zwischen 10 und 12 Prozent erreichen, daher haben wir unser Ziel erreicht“, sagt AfD-Kreissprecher Günther Schöttle zum Abschneiden seiner Partei bei den Europawahlen. Er hätte sich mehr gewünscht, doch sei es der AfD vielleicht nicht gelungen, ihre Position zu Europa richtig zu vermitteln. „Es wird behauptet, wir wollen Europa abschaffen. Das stimmt aber nicht, wir wollen es reformieren.“ Zum guten Abschneiden der Alternative für Deutschland in Horb teilt Schöttle einen Seitenhieb gegen die Genossen aus, die 3,5 Prozentpunkte weniger als die AfD erreicht haben. „Speziell in Horb ist die SPD überdurchschnittlich laut, aber in der Performance bringt sie relativ wenig.“

Ernst Wolf (FDP)

Der Michael-Theurer-Bonus galt bei dieser Europawahl im Landkreis nicht mehr. Schon vor fünf Jahren hatten die Liberalen in der Theurer-Hochburg verloren, 2009 holten sie gar 42 Prozent. Jetzt wurden sie selbst in Horb von der AfD überholt. Bürgermeister Ralph Zimmermann flachste noch im Wahlstudio im Rathaus: „Wenn man nicht alles selbst macht …“ Kreisvorsitzender Ernst Wolf hingegen sieht die Sache gelassener: Er schaut auf das deutschlandweite Ergebnis, bei dem die FDP zugelegt hat und wieder über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen ist. Daher war er auch gestern Abend am Feiern. „An der politischen Basis darf es nicht nur ernst zugehen, sondern auch mal lustig.“ Auch für das schlechtere Abschneiden der FDP in Horb hat er eine Erklärung: Wenn Michael Theurer nicht mehr für das Europäische Parlament kandidiert, gehen Stimmen verloren. „Auch mit 10,7 Prozent für die FDP ist Horb immer noch eine liberale Hochburg.“

Viviana Weschenmoser (SPD)

Die SPD-Kreisvorsitzende Viviana Weschenmoser sieht im Wahlergebnis vor allem eine zentrale Botschaft: „Europa ist demokratisch gewählt worden“; rechtskonservative Kräfte konnten ihren Einfluss nicht ausbauen. Das war es aber auch mit positiven Einschätzungen: „Natürlich sind wir sehr entsetzt über das Ergebnis der SPD. Wir wissen aber, dass wir mit unserem Europakandidaten Jérôme Brunelle den besten Mann im Kreis ins Rennen geschickt haben.“ Klima- und Umweltpolitik seien wahlbestimmende Themen gewesen, die Brunelle gut vertreten habe. „Wir sehen unsere Haltung bestätigt.“ Dass ihre Partei in Horb mit 10,53% als nur fünftstärkste Partei besonders schwach abgeschnitten hat, nennt sie einen „herben Schlag“. Es zeige den großen Einfluss der Bundespolitik. Sie möchte den Spieß umkehren: „Wir werden allen Druck auf unsere Genossinnen und Genossen ausüben, dass die Horber Linie Einzug in die Bundespolitik hält.“

Stefan Dreher (Die Linke)

Tief enttäuscht vom „Die Linke“-Wahlergebnis zeigt sich deren Kreisvorsitzender Stefan Dreher: „Die größte Enttäuschung waren für mich die vielen Jungen, die die Grünen gewählt haben.“ Er habe gehofft, dass diejenigen, die sich bei „Fridays for Future“ engagieren, die Parteien nicht nach Worten, sondern nach Taten beurteilen würden. Das sei aber offenbar nicht der Fall angesichts der Diskrepanz zwischen Worten und Taten bei den Grünen. Deren Ministerpräsident Winfried Kretschmann übe den Kniefall vor „Dieselbetrügern“, vor Daimler und Porsche.
Die Horber und die europäischen Farben waren vor dem Wahllokal in der Gutermann-Grundschule geflaggt. Bilder: Karl-Heinz Kuball

Die Horber und die europäischen Farben waren vor dem Wahllokal in der Gutermann-Grundschule geflaggt. Bilder: Karl-Heinz Kuball

Der Horber Jérôme Brunelle kandidierte für das Europaparlament und wählte selbstverständlich auch.

Der Horber Jérôme Brunelle kandidierte für das Europaparlament und wählte selbstverständlich auch.

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27.05.2019, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 27.05.2019, 01:00 Uhr

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