Empfingen · Modellbau

Legendärer Miniaturdampfer geht am Tälesee vom Stapel

Für Dieter Münch ist die „Hohentwiel“ der schönste historische Schaufelraddampfer Europas. Nach drei Jahren unermüdlicher Tüftelei am Schiffskörper und an Details hat der Ruheständler seinen Nachbau auf dem Tälesee vom Stapel gelassen.

03.01.2020

Von Herold Schwind

Dieter Münchs Modellbau-Dampfer "Hohentwiel"

Für Dieter Münch ist die „Hohentwiel“ der schönste historische Schaufelraddampfer Europas. Nach drei Jahren unermüdlicher Tüftelei am Schiffskörper und an Details hat der Ruheständler seinen Nachbau auf dem Tälesee vom Stapel gelassen.
Die Abdeckplanen der Beiboote wurde aus einem Kinderanorak genäht
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Auf dem drittgrößten Binnensee Mitteleuropas, dem Bodensee, fährt der wohl schönste historische Schaufelraddampfer dieses Kontinents. In der Fachpresse gilt die „Hohentwiel“ mit dem strahlend weißen Sonnenseegel, poliertem Messing, spiegelnden Mahagoni, Teak und Kirschbaumholz als das am besten restaurierte Dampfschiff Europas. Ihre eleganten Linien verkörpern die funktionale und ästhetische Qualität ihrer Zeit. Die Aufmerksamkeit des Neu-Empfingers Dieter Münchweckte das Schiff schon vor langer Zeit. Es sollte aber bis zu seinem Ruhestand dauern, dass er den Nachbau des Luxusliners in die Wege leitete.

Dieter Münchs Modellbau-Dampfer "Hohentwiel"

Für Dieter Münch ist die „Hohentwiel“ der schönste historische Schaufelraddampfer Europas. Nach drei Jahren unermüdlicher Tüftelei am Schiffskörper und an Details hat der Ruheständler seinen Nachbau auf dem Tälesee vom Stapel gelassen.
Die Abdeckplanen der Beiboote wurde aus einem Kinderanorak genäht
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Wenn auf jemanden der Begriff „Tüftler“ passt, dann auf Münch. „Was auf dem Bodensee geht, muss doch auch in Klein auf dem Tälesee gehen“, dachte er sich. Nach drei Jahren unermüdlichen Schaffens lief die Nachbau-„Hohentwiel“ auf dem Tälesee vom Stapel. Mit seinen Leitsätzen „Familie ist meine Liebe“ und „Meine Leidenschaft war mein Beruf“ kam er sehr gut durch das Leben. Sein Beruf dürfte ihm zu dem das Leben gerettet haben: In sein erfolgreiches Werken schlug die Diagnose Nierenkrebs wie eine Bombe ein. Die Ärzte gaben ihm noch eine Überlebungschance von gerade mal fünf Prozent. Dank seiner Tätigkeit als selbstständiger IT-Sachverständiger hatte er auch Kliniken in seinem Kundenstamm; so fand er den richtigen Professor, der ihn operierte und die Metastasen vollkommen entfernen konnte.

Dieter Münch hatte das Elektrowerker-Handwerk in Schwenningen gelernt, war Berufsschullehrer und ist 20 Jahre bei der Marine zur See gefahren. Aus dieser Zeit dürfte auch sein Interesse für Modellbauschiffe kommen. Bereits im Flur des Untergeschosses seines Hauses in Empfingen wird man von Schiffsmodellen und Dampfmaschinen empfangen. Dann bleibt der eingefleischte Modellbauer stehen und deutet auf einen besonderen Schatz. „Das ist eine Hommage an meinen Vater und meinen Großvater“ erzählt Münch mit einer etwas belegten Stimme. In seiner Modellwerkstatt für Antriebsmodelle mit zwei Dampfmaschinen, wie er sie nennt, hat er einige Andenken an seine beiden Vorfahren verbaut und hält sie so auch lebendig.

Der Wahl-Empfinger zeigt auf die hinteren Figuren in seiner Dampfwerkstatt und schätzt deren Alter auf über 100 Jahre, die „Kollegen“ daneben dürften nach seiner Schätzung 40 Jahre alt sein. Über eine Vielzahl von Riemen und Riemenscheiben, treibt er mit einem ausgetüftelten System die vielen Maschinen an. Bei dieser Anlage wirkt alles so lebendig, überall dreht sich etwas, und ein Generator erzeugt Strom für die Beleuchtung an. Im Bann dieser Modellanlage fühlt man sich zurückgesetzt in die Jahre der Industrialisierung in Deutschen Werkstätten.

Verständnis, Präzision und Geduld

Dann geht es von der Modellausstellung im Flur in die „Heiligen Gefilde“, wie seine Frau das Reich ihres Mannes bezeichnet. Auf die Frage, woher er seine Begabung und Leidenschaft für dieses anspruchsvolle Hobby hat, verweist Münch auf dessen Geschick und Können. Seine als Lehrling geschulten Fertigkeiten – feilen, bohren, drehen und fräsen – gepaart mit Technischem Verständnis, Geschick, Präzision und vor allem Geduld sind laut Münch die wichtigsten Voraussetzungen für den Modellbau. Sein Hobby beansprucht mittlerweile mehrere Räume in seinem Zuhause. Sensationell, anders kann man nicht sagen, ist seine Hobby-Werkstatt im Untergeschoss seines Hauses bestückt. Eine kleine Drehmaschine, eine Rollier-, Abkant- und Blechschneidmaschine steht neben einer Tischbohrmaschine in Groß, daneben ihre etwas kleinere Schwester für die feinsten Arbeiten. Und ganz hinten zeigt Münch eine kleine CNC-gesteuerte Fräsmaschine. Sauber an der Wand aufgehängte Werkzeuge sind jederzeit griffbereit.

Den Nebenraum kann man wahrscheinlich als die Schaltzentrale seiner Hobbykünste bezeichnen. Auf dem Laptop hat er eine CAD-Software installiert, die ihm alle Möglichkeiten von Konstruktionsarbeiten offen lässt. Neben dem Schreibtisch etwas versteckt steht ein 3D-Drucker. Und dann geht es zum absoluten Juwel unter seinen Modellbauten, der maßstäblichen Nachbildung der „Hohentwiel“, auf die er ganz besonders stolz sein darf. Beim Eintritt in den Raum fällt der Blick gleich auf die Königin unter den Bodensee-Ausflugsdampfern. Erhaben thront sie ihrem Stand entsprechend auf einer eigens gebauten Vorrichtung auf der Werkbank herunter.

Die Augen werden hin und her gerissen, so viel gibt es zu entdecken. Es gibt auch kein Stillleben auf dem Dampfer, überall hat der Erbauer Szenen aus dem richtigen Leben nachgebaut. Als zwischenzeitlicher Ruheständler suchte Dieter Münch eine Herausforderung, die den ehrgeizigen Hobbybastler fordern sollte. Und das dürfte ihm auch gelungen sein. Ab diesem Zeitpunkt gab es in seiner Zeitrechnung keine Stunden mehr. Die kleinste Zeiteinheit waren Tage, gefolgt von Monaten und Jahren. Manchmal sah er seine Frau, in seinem Hobbykeller werkelnd, nur noch zu den Mahlzeiten.

Der „Hohentwiel“-Nachbau ist eine komplette eigene Einzelkonstruktion, die er zuerst Teil für Teil auf seinem Computer entwerfen musste. Doch zunächst erfolgte ein umfangreiches Studium aller Unterlagen, die er über den Schaufelraddampfer auf dem Markt ergattern konnte. „Ich habe förmlich alles aufgesogen, ich wollte alles über den Dampfer wissen“, erklärt Münch. Dann ging er mit dem Wagnis „Hohentwiel“ an den Start. Die Frage, ob er irgendwann daran dachte, aufzugeben, beantwortet er mit einem selbstbewussten „Nein“. Sein erarbeitetes Wissen machte ihn sicher genug, um das Projekt durchzuziehen. Für die nächsten drei Jahre gab es für ihn neben der eigenen Zeitrechnung auch das Wort „Aufgeben“ nicht mehr in seinem Vokabular.

Da die Schaufelräder Dieter Münch am kompliziertesten erschienen, sollten sie zuerst gebaut werden. Natürlich sollte das Schiff nicht nur ein Ausstellungsstück für die Vitrine werden, sondern voll funktionsfähig sein, sprich: mit selbständigem Antrieb fahren. Dazu müssen sich die Schaufeln aber fortlaufend selbständig verstellen, um im Wasser stets den optimalen Winkel für den Antrieb des Schiffes haben. Dieses löste Münch über eine exzentrisch Lagerung.

Der Maßstab ein Kompromiss

Für den Rumpf konnte Münch die Kopie der Werftpläne organisieren. So konnte er die Maße abnehmen und in sein Konstruktionsprogramm übernehmen. Den Maßstab des Modells legte Münch nach gründlichem Abwägen fest: Zum einen durfte das Modell nicht länger als 1,95 Meter werden, damit er es im Auto transportieren konnte. Zum Anderen würde dem Einbau des Dampfantriebes jeder Zentimeter Raum gut tun. Der Kompromiss lautete 1:27,5 – und brachte den Nachteil mit sich, dass es keine Teile auf dem Markt geben würde.

Bei seiner Arbeit musste Münch selbstverständlich auch Rückschläge hinnehmen und manche Teile mehrfach anfertigen, erzählt er. Besonders herb gestalteten sich die ersten Schwimmversuche: Die Modell-„Hohentwiel“ war zu schwer, damit lag das Schaufelrad um etwa zwei Zentimeter zu tief im Wasser und lieferte zu wenig Vortrieb. Um Gewicht zu sparen, ersetzte Münche schweren Herzens den Dampfantrieb durch einen elektrischen – „vorläufig“, wie er betont. Man kann sicher davon ausgehen dass das Schiff irgendwann mit einem Dampfantrieb seine Runden ziehen wird. Beim jüngsten Schwimmversuch auf dem Tälessee lag das Boot etwas instabil und zeigte leichte Schlagseite, die Lösung hat Münch aber schon in der Schublade.

Eine Woche vor dem Termin der Hobbyausstellung in der Empfinger Täleseehalle, bei dem der Dampfer das erste Mal in die Öffentlichkeit durfte, geschah allerdings etwas Unvorhersehbares: Als der Rentner seiner „Hohentwiel“ den letzten Schliff für die Ausstellung geben wollte, fiel er rückwärts von seinem Hocker gefallen und schlug mit dem Kopf heftig auf den Plattenboden. Eine stationäre Aufnahme in der Klinik lehnte Münch vehement ab, schließlich stand in Kürze die Hobbybastler-Ausstellung an. Beim Sturz kam der für das Sehfeld zuständige Gehirnteil zu Schaden, deshalb leidet er immer noch an einer Doppelsichtigkeit.

Um seinen Enkeln etwas zu bieten, hat Münch über Schalter auslösbare Funktionen in sein Schiffsmodell eingebaut. Für das Signalhorn ist er eigens an den Bodensee gefahren, um die Originaltöne aufzunehmen und auf sein Modell zu übertragen. Mit einer riesigen Resonanz beschickte er dann die Hobbyausstellung mit einigen Exponaten. Der Star und Anziehungspunkt war aber ganz klar sein Schätzchen „Hohentwiel“: „Den ganzen Tag musste ich mich allen möglichen Fragen stellen“ resümiert Münch. „Rückwirkend betrachtet war der Bau der „Hohentwiel“ eine wunderbare und sehr kreative Arbeit, die mich mit allen Hochs und Tiefs forderte“ blickt Münch zurück. Vieles machte er mehrmals, weil er immer wieder mit der Qualität seiner Arbeit haderte. „Im Laufe der Bauphase musste ich leider lernen, dass Schnellschüsse selten zu einer guten Arbeit führen“ resümiert der 73-Jährige. Der Selbstbau erfordert aber auch neben fundierten Fachkenntnissen der Metallbearbeitung nicht unerhebliche Investitionen in Spezialwerkzeug und Maschinen.

Dieter Münch, der Familienmensch

Zum Schluss vielleicht noch ein Zitat des Familienmenschen Münch, welches den leidenschaftlichen Bastler charakterisiert „Wenn die Dampfmaschine nicht dreimal gelaufen ist, dann ist es keine Weihnachten“. Der Opa von zehn Enkelm freut sich riesig, wenn sie vorbei kommen; besonders die zehnjährigen Drillinge seines Sohnes interessieren sich für Opas Arbeiten. Wenn es pufft, dampft und sich ein öliger Geruch im Raum ausbreitet, wenn sich die Kräfte aus dem Wasserdampf entfalten und Maschinen in Bewegung setzten, strahlen und leuchten große wie kleine Augen um die Wette.

Für die vier haben Dampfmaschinen-Modelle ihre ganz eigene Faszination. Opa Münch genießt es wenn er seine neusten Konstruktionen vorführen und erklären darf. Der immer noch sehr ehrgeizige Dieter Münch verrät noch mit einem zufrieden und schmunzelten Gesicht, dass ihn schon ein gewisser Stolz erfüllt, wenn er sein Schaffen den Enkeln zeigen kann. Auf seinem Arbeitstisch liegen übrigens schon wieder Teile und die Beschreibung von seinem nächstes Projekt: ein Vakuummotor mit dem Namen „Flammenfresser“.

Legendärer Miniaturdampfer geht am Tälesee vom Stapel
Dieter Münch in seiner Empfinger Werkstatt.In der nautischen Fachpresse gilt die Original-„Hohentwiel“ mit ihrem strahlend weißen Sonnensegel, poliertem Messing, spiegelnden Mahagoni, Teak und Kirschbaumholz als das am besten restaurierten Dampfschiff Europas.Bilder: Herold SchwindMehr Motive im E-Paper und unter www.neckar-chronik.de

Dieter Münch in seiner Empfinger Werkstatt.
In der nautischen Fachpresse gilt die Original-„Hohentwiel“ mit ihrem strahlend weißen Sonnensegel, poliertem Messing, spiegelnden Mahagoni, Teak und Kirschbaumholz als das am besten restaurierten Dampfschiff Europas. Bilder: Herold Schwind Mehr Motive im E-Paper und unter www.neckar-chronik.de

Geschichte der „Hohentwiel“

Am 11. Januar 1913 läuft der Dampfer vom Stapel der Königlich Württembergischen Staatsbahnen, ihren Name hat die von von der gleichnamigen Festung auf dem Vulkankegel Hohentwiel bei Singen. Nach turbulenten Jahrzehnten geht sie 1962 vor Anker und dient dem Bregenzer Segelclub als Restaurant und Clubheim. Zu Beginn der achtziger Jahre scheint das Schicksal des Luxusschiffes, mit der geplanten Verschrottung, als besiegelt. Doch im letzten Augenblick wurde sie gerettet. Im Jahr 1984 erwarb der Verein „Internationales-Bodenseeschifffahrtsmuseum“ den mittlerweile stark renovierungsbedürftigen Dampfer und restaurierte das Schiff in deren ursprünglichen Zustand. Am 17. Mai 1990 startet das Schiff zur erneuten Jungfernfahrt. Im Jahr 2013 feierte der Luxusdampfer 100. Geburtstag, der im Jahr 2014 gebührend gefeiert wurde.

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Erstellt:
03.01.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 6min 10sec
zuletzt aktualisiert: 03.01.2020, 01:00 Uhr

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