Horb · Gastronomie

Trau dich, iss mich

Das Horber Restaurant „Quartier 77“ bietet seinen Gästen Speisen mit Insekten an. Einige sind begeistert, bei manch einem lässt sich hingegen die Blockade im Kopf nicht lösen. Der Bericht über einen mutigen Selbstversuch.

12.08.2020

Von Florian Dürr

Seit Anfang des Jahres stehen Insekten auf der Karte von Johannes Kiefers „Quartier 77“ auf dem Hohenberg. Bilder: Florian Dürr

Seit Anfang des Jahres stehen Insekten auf der Karte von Johannes Kiefers „Quartier 77“ auf dem Hohenberg. Bilder: Florian Dürr

Mehlwürmer, Grillen und Buffalowürmer liegen auf dem Teller – bereit zum Verspeisen. Obwohl sie schon lange tot sind, wirken die Grillen, als könnten sie mit ihren Augen durch ihr Gegenüber hindurchschauen, als würden sie mit ihrem Blick provokant sagen: „Komm, trau dich, iss mich!“ Wer jetzt an eine Dschungelprüfung in der RTL-Show „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ denkt, der irrt. Es handelt sich um Essensbeilagen des Horber Restaurants „Quartier 77“. Und nein, die Küche hat auch nicht mit Hygieneproblemen zu kämpfen: Die Grillen und Mehlwürmer gehören zur Speisekarte wie die Spätzle zum Zwiebelrostbraten.

Wer Geschäftsführer Johannes Kiefer (36) und Küchenchef Sinisa Gombar (43) kennt, der weiß, dass sie beide experimentierfreudig sind, immer wieder Lust auf etwas Anderes, Ausgefallenes, Außergewöhnliches haben. „Wir wollen Abwechslung bieten, bei uns soll sich jeder wiederfinden: Ob klassisch Schweinemedaillons oder ausgefallen wie jetzt mit den Insekten“, erklärt Kiefer die Philosophie seines Restaurants. Nur logisch, dass sich die Karte deshalb alle sechs bis acht Wochen ändert.

Im Salat oder mit Nudeln

Die Insekten gibt es aber nicht einfach so auf den leeren Teller, sondern immer in Kombination mit einem Standardgericht. Im „Quartier 77“ gibt es an diesem Montag cremiges Tomatenrisotto mit Basilikum-Schaum. In der Vergangenheit servierte das Restaurant seinen Gästen aber auch schon Heuschrecken, Mehlwürmer und Co. im Salat, zu Nudeln oder als süßes Dessert mit Schokolade.

Küchenchef Gombar holt die Insekten aus einer kleinen Tüte, legt sie auf einen Teller und kippt sie von dort in die heiße Pfanne. Zum Glück sind die kleinen Tierchen nicht mehr am Leben, sonst wäre es spätestens jetzt um sie geschehen.

Fertig in der Packung kommen sie von einem Händler aus der Gemeinde Witzeeze, 50 Kilometer östlich von Hamburg (siehe Info-Kasten). Die Insekten werden speziell für den menschlichen Verzehr gezüchtet und untersucht, „sie kommen also nicht von Dehner“, betont Johannes Kiefer mit einem Augenzwinkern. Mehlwürmer sind mit 25 Euro für 100 Gramm vergleichsweise günstig, Die gleiche Menge Heuschrecken kostet hingegen stolze 75 Euro. Chefkoch Gombar setzt dekorativ vier gleich große Kugeln Tomatenrisotto auf einen Teller, verteilt die gerösteten Insekten darüber, verziert mit dem hellgrünen Basilikum-Schaum und gibt dem Gericht mit drei Tomaten und etwas Petersilie darauf den letzten Schliff.

Gäste tasten sich langsam an

Die Gäste des „Quartier 77“ tasten sich meist langsam an die ausgefallene Speise heran. Selbst eine Mitarbeiterin erzählt: „Ich musste auch erst eine Nacht darüber schlafen, bevor ich es probiert habe. Es ist schon auch Kopfsache.“ Eine andere ging ganz nach dem Motto „Augen zu und durch“ vor und stellte danach fest: „Es ist nicht so schlimm, wie ich es befürchtet habe.“

Bei der ersten Probier-Gabel des cremigen Tomatenrisottos ist es vor allem die Tomatensoße, die dominant und intensiv auf die Geschmacksnerven trifft – sodass sich ein vielleicht zu erwartendes Ekelgefühl wegen der Insekten gar nicht erst im Mund breitmacht. Im Gegenteil: Wenn eine Grille oder ein Mehlwurm zwischen die Zähne rutscht, entfachen sie viel mehr einen angenehmen, lecker würzigen und nussigen Geschmack. „Für mich schmecken die Insekten wie Erdnüssle“, sagt Küchenchef Gombar. Das trifft es gut.

Für Gombar und Kiefer bieten die kleinen Tierchen bei der Zubereitung einen praktischen Vorteil im Vergleich zum Fleisch: „Sie sind vom Handling her leicht, man muss sie nicht putzen, nicht zerlegen“, erklärt Kiefer, der damals durch einen Artikel in der Gastro-Zeitschrift „Rolling Pin“ auf die Idee mit den Insekten auf der Speisekarte kam. „Ich fand das interessant und habe es Sinisa gezeigt. Der fand es auch geil, und dann haben wir uns informiert“, erzählt Kiefer.

Auch, weil für sie beide Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spiel bei der Zubereitung der Speisen. Denn bei der Zucht von Insekten wird nur eine geringe Menge an CO2 produziert. Laut dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung produzieren zum Beispiel Schweine 10 bis 100 Mal mehr Treibhausgase pro Kilogramm Körpermasse als Mehlwürmer. „Und sie sind sehr proteinhaltig“, so Kiefer. Besonders ungesättigte Fettsäuren und wichtige Vitamine, Mineral- und Ballaststoffe wie Vitamin B12, Kupfer, Eisen oder Magnesium sprechen für den Verzehr von Insekten.

Grillen und Würmer sättigen

Und tatsächlich: Schon nach einer kleinen Portion des cremigen Tomatenrisottos mit Grillen, Mehl-und Buffalowürmern sendet der Körper ein Gefühl von Sättigung. Die Gedanken daran, was dort genau auf dem Teller liegt, verschwinden mit jeder Gabel, die in den Mund wandert.

Dabei ist für Kiefer klar: „Es ist dauerhaft nicht wirklich eine Alternative zu Fleisch, eher eine nette Ergänzung.“ Denn auch wenn einige Gäste die ausgefallene Speise loben und zum Teil sogar extra deswegen ins „Quartier 77“ kommen, gibt es auch jene, die Kiefer und Gombar als „verrückt“ bezeichnen und durch Insekten als Beilage eher abgeschreckt als angelockt werden. „Bei manchen sagt der Kopf: ‚Das macht man nicht‘“, erzählt Kiefer.

Trotzdem haben er und Gombar noch lange nicht genug von ausgefallenen Speisen. Auf die Frage nach Stierhoden als möglichem Gericht lachen sie, und Gombar, dessen Eltern aus Kroatien stammen, antwortet: „Vielleicht irgendwann. In Kroatien ist das eine Delikatesse.“

Das brutzelt: Mehlwürmer und Grillen in heißem Öl.

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Mit mutiger Probiergabel geht unser Autor den Test an.

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Chefkoch Sinisa Gombar richtet jeden Insektenteller akribisch an.

Chefkoch Sinisa Gombar richtet jeden Insektenteller akribisch an.

Insekten als Nahrungsmittel

Bei etwa zwei Milliarden Menschen landen regelmäßig Insekten auf dem Teller. In 80 Prozent aller Länder weltweit ist der Insekten-Konsum beliebt, besonders in Asien, Afrika und Lateinamerika. Die Krabbeltiere sind bekannt als Nahrungsmittel von Armen, manche gelten jedoch auch als Delikatesse. Der Händler, bei dem das „Quartier 77“ seine Insekten bestellt, heißt „Snack-Insects“. Auf seiner Website gibt es Rezepte. Die Adresse lautete: www.snackinsects.com.

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Erstellt:
12.08.2020, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 12.08.2020, 01:00 Uhr

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